Drohnen-Lieferservice für Wusterhausen/Dosse

„Marktschwalbe“

Ein Roggenschrot-Brot von der Bäckerei Kindt. Die erste offizielle Bestellung beim Drohnen-Lieferdienst „Marktschwalbe“ zeigte exemplarisch, wie die Nahversorgung in Wusterhausen/Dosse künftig optimiert werden soll. Zumindest für die 340 Anwohnerinnen und Anwohner, die in den Ortsteilen Barsikow, Trieplatz und Blankenberg zuhause sind. Doch das soll erst der Anfang sein. Zumindest, wenn der mehrmonatige Probebetrieb erfolgreich läuft – und sich daraus ein tragfähiges Geschäftsmodell ableiten lässt.

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Demografische und strukturelle Veränderungen haben in ländlichen Räumen zu einer Vielzahl an Herausforderungen geführt. Mit einer zurückgehenden und zudem immer älter werdenden Bevölkerung stehen zahlreiche gewachsene Einzelhandelsstrukturen vor dem Kollaps. Die Nahversorgung mit Waren und Gütern des täglichen Bedarfs ist daher vielerorts mittlerweile problematisch. Mit der „Marktschwalbe“ – so die Hoffnung der beteiligten Projektpartner – könnte an dieser Stelle die Lebensqualität erhöht und die Attraktivität von dörflichen Gemeinden als Wohnort gesteigert werden. Denn während diese in der öffentlichen Wahrnehmung häufig unterschätzt werden, kommt ihnen in Wahrheit enorme volkswirtschaftliche Bedeutung zu. „Etwa die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsproduktes wird in ländlichen Räumen erwirtschaftet“, erläuterte Timm Fuchs vom Deutschen Städte- und Gemeindebund bei einer Veranstaltung zum Auftakt des Experimentalbetriebs des Drohnen-Lieferservices. „Auch deswegen freue ich mich, dass eine Gemeinde diese Zukunftstechnologie ausprobiert und demonstriert, wie stark und innovativ der ländliche Raum ist.”

Stadt-Land-Drohne

Angesichts der besonderen lokalen Gegebenheiten ist das brandenburgische Wusterhausen/Dosse nahezu perfekt dafür geeignet, die Vorteile von individuellen Lieferdienstleistungen per Drohne zwischen festgelegten Start- und Zielpunkten zu evaluieren. Die weitläufige Gemeinde, etwa 100 Kilometer nordwestlich von Berlin gelegen, erstreckt sich über fast 200 Quadratkilometer Fläche. Dabei leben in den 22 Ortsteilen gerade einmal knapp 6.000 Menschen. Da sind die Wege zum Wochenmarkt oder den lokalen Einzelhändlern schnell lang. Zu lang, um mal kurz den beim Einkauf vergessenen Kopfsalat oder eben ein frisches Brot zu besorgen. Insbesondere dann, wenn die eigene Mobilität eingeschränkt ist. Für den Großeinkauf zum Wochenende wiederum ist das Ganze nicht geeignet – und auch nicht gedacht. „Ich brauche etwas Bestimmtes oder ich habe etwas vergessen“, beschreibt Dr. Robin Kellermann die Situationen, in denen der UAS-basierte Bringdienst Abhilfe schaffen soll. Zusammen mit Tobias Biehle hat der Mobilitätsforscher von der Projekt- und Beratungsagentur Luftlabor die Idee für den Lieferdienst entwickelt, der seinerseits Kernstück des vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Modellprojekts Stadt-Land-Drohne ist.

Über den Marktschwalbe-Shop können registrierte Nutzerinnen und Nutzer aus den drei abgelegenen Ortsteilen Barsikow, Trieplatz und Blankenberg Bestellungen bei derzeit sechs angeschlossenen lokalen Unternehmen aufgeben und direkt online bezahlen. Die Waren werden anschließend von einem Mitarbeiter, dem sogenannten Dispatcher, abgeholt und zum etwa 700 Meter vom Marktplatz entfernten „Droneport Wusterhausen“ gebracht. Dort wartet ein Hexakopter vom Typ Heifu Pro des portugiesischen Anbieters Beyond Vision darauf, diese in etwa 60 Meter Höhe und bei einer energiesparenden Reisegeschwindigkeit von zirka 40 Kilometer pro Stunde an den bis zu 12 Kilometer entfernten Bestimmungsort zu bringen. Der Flugbetrieb wird dabei aus der Firmenzentrale des Technologiepartners Dronegy im nordrhein-westfälischen Siegen koordiniert und überwacht. Bis zu fünf der „Marktschwalben“ können bei entsprechendem Bedarf ins System integriert und parallel betrieben werden.

Leitstelle in Siegen

Ist die Bestellung eingegangen, erhalten die Kundinnen und Kunden einen Hinweis, wann die Ware am nächstgelegenen Droneport eintrifft und zur Abholung bereit steht. Erst wenn das UAS sicher gelandet ist und die Rotoren abgestellt sind, ist der Zugang zu den umzäunten Landeplätzen möglich. Im Zentrum der jeweils etwa 25 Quadratmeter großen Areale befindet sich ein Landepodest mit integriertem Lade-Pad, RTK-Modul und FLARM-Receiver. An einem 5 Meter hohen Mast ist eine Kamera montiert, sodass die Operator aus der Leitstelle in Siegen das Geschehen im hunderte Kilometer entfernten Brandenburg im Blick haben können.

Ist der Zugang gefahrlos möglich, wird die Tür entriegelt und die Kundinnen und Kunden können die Transportbox an der Drohne öffnen sowie die bestellte Ware selbstständig entnehmen. Wie das Ganze funktioniert, das wurde den potenziellen Nutzerinnen und Nutzern in Workshops vor Ort ganz praktisch demonstriert. „Die Offenheit der Bevölkerung gegenüber dieser neuen Technologie war enorm, es gab bei unseren Infoveranstaltungen recht wenig Berührungsängste“, erzählt Dr. Robin Kellermann. Geht es nach Philipp Schulz, parteiloser Bürgermeister der Gemeinde Wusterhausen/Dosse, ist Offenheit auf allen Ebenen unverzichtbar, soll das Pilotprojekt den erhofften Erfolg mit Strahlkraft weit über den Landkreis Ostprignitz-Ruppin hinaus haben. „Die Verantwortlichen vor Ort müssen bereit dazu sein, neue Wege zu gehen und etwas auszuprobieren“, erläuterte Schulz beim offiziellen Startschuss zum mehrmonatigen Probebetrieb. „Und vor allem muss viel und klar kommuniziert werden, um alle Beteiligten zusammenzubringen sowie Interesse zu wecken.”

Intensive Kommunikation und allgemeine Bereitschaft, das ambitionierte Projekt aus der Taufe zu heben, war auch im Dialog mit dem für die Genehmigung zuständigen Luftfahrt-Bundesamt entscheidend. So wurde das BVLOS-Betriebsszenario in der Specific Category, das aufgrund des dünn besiedelten Einsatzgebiets unter den Bedingungen der vergleichsweise niedrigen Risikostufe SAIL II (Specific Assurance and Integrity Level) stattfindet, nach weniger als einem halben Jahr Verfahrensdauer genehmigt. Und in den kommenden Monaten zunächst einmal dienstags und freitags – den beiden Wochenmarkt-Tagen in Wusterhausen/Dosse – in der Praxis umgesetzt.

Frei Haus

Um für einen ausreichenden Testbetrieb zu sorgen, müssen Verbraucherinnen und Verbraucher derzeit lediglich die Preise für die bestellten Produkte bezahlen. Der eigentliche Lieferservice ist bis auf Weiteres kostenfrei und wird durch öffentliche Fördermittel finanziert. Insgesamt dürfte es zudem weniger eine Frage der Technik als der wirtschaftlichen Perspektive sein, ob sich das Ganze am Ende des Pilotprojekts im Frühjahr 2025 als voller Erfolg erweist oder eine spannende Episode in der Geschichte Wusterhausen/Dosses bleibt. Dass der reine Lieferbetrieb dafür ausreicht, scheint zumindest fraglich. Doch als Teil eines umfassenderen Serviceangebots ließe sich das Ganze vielleicht tatsächlich dauerhaft in den dörflichen Alltag integrieren.

Denn abseits der Markttage könnten Drohnen und Droneports für andere UAS-basierte Dienstleistungen genutzt werden, wie Timm Fuchs, Beigeordneter für ländliche Räume im Deutschen Städte- und Gemeindebund, betonte. Und je länger die „Marktschwalbe“ über Wusterhausen/Dosse unterwegs ist, desto größer dürfte zudem die Bereitschaft des lokalen Einzelhandels sein, sich an dem Projekt zu beteiligen. Denn aktuell hat sich zum Beispiel die örtliche Apotheke dagegen entschieden, wobei gerade Kopfschmerztabletten oder Fiebersaft für Kinder im Grunde prädestiniert dafür wären, zu den Top-Sellern des Drohnen-Lieferdienstes zu avancieren. Aber nicht zuletzt deshalb, weil man einen eigenen Lieferservice per Pkw betreibt, fehlt die Apotheke bislang im Partnernetzwerk. So ist das Pilotprojekt auch in der Frage, ob UAS anderen Verkehrsträgern Marktanteile abjagen können, eine spannende Angelegenheit.




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