Die Otto Group geht mit Boston Dynamics, dem weltweit führenden Robotik-Entwickler, eine strategische Partnerschaft ein
Man müsste meinen, Seefrachtcontainer, mit denen der Großteil des täglichen Warenverkehrs abgewickelt wird, wären maschinell einfach zu entladen. Schließlich sind sie geräumig und rechteckig. Aber das ist nicht der Fall. „Zwar hat man es mit kubischen Elementen zu tun, was eigentlich die automatisierte Entladung erleichtern würde. Aber dann kommen eben auch viele Unwägbarkeiten ins Spiel“, erläutert Raphael Adrian Maier, Group Vice President Supply Chain Management der Otto Group. „Zum einen kann man nicht bestimmen, in welcher Art Container die Ware zum Beispiel aus Shenzhen angeliefert wird. Dann sind die Container vielleicht etwas eingedellt. Oder die Ware ist verrutscht. Auch kann manchmal der LKW nicht so geparkt werden, dass Maschinen zum Einsatz kommen können. Kurz: Man hat es mit unvorhergesehenen Situationen zu tun, die bisher eine automatisierte Entladung unmöglich gemacht haben.“
Deshalb werden bis heute Seefrachtcontainer überwiegend von Menschen entladen. Nur sie waren bisher in der Lage, flexibel auf die unterschiedlichen Bedingungen bei Container und Ware zu reagieren. Diese Arbeit ist jedoch mühselig und körperlich anstrengend. Stehen die Container in der Sonne, herrschen darin oft über 50 Grad. Im Winter ist es schneidend kalt. Das Verladen der Pakete ist anstrengend und verlangt volle Konzentration, eine optimale Arbeitsplatzergonomie ist somit nicht gegeben. So ist es nicht verwunderlich, dass sich der Personal- und Fachkräftemangel gerade an dieser entscheidenden Schnittstelle der Logistik besonders drastisch gestaltet.
Gesucht: Autonom agierende Roboter
„Wir waren also auf der Suche nach Lösungen, mit denen wir diese Herausforderung bearbeiten und so Innovation in der Logistik nachhaltig voranbringen können“, erklärt Maier. Bei dieser Suche traf die Otto Group auf das US-Unternehmen Boston Dynamics – den weltweit führenden Robotik-Entwickler. Der hat mit dem StretchTM einen Roboter im Angebot, der speziell für die Arbeit in der anspruchsvollen Umgebung von Containern entwickelt wurde. Der Roboter kann verschiedenste Arten von Kartons handhaben und passt sich immer wieder auf die aktuelle Situation an, während er autonom Container entlädt.
Der Stretch – ein beweglicher Untersatz mit Roboterarm – kann sich über ein differenziertes Kamera- und Sensorensystem frei im Raum bewegen, Objekte erkennen und diese „manipulieren“, wie es in der Robotik heißt – also bewegen. Das macht er über Elektromotoren und dutzende kleiner Saugnäpfe mit einem Unterdrucksystem, mit denen die Kartons gegriffen werden. Außerdem steuert der Stretch aktiv das elektrisch ausfahrbare Förderband, auf dem die Ware abgelegt und zum LKW transportiert wird.
Eine klassische Win-Win-Situation
Der Roboter hat das Potenzial, die Logistik nicht weniger als zu revolutionieren – und auf diese Weise unabhängiger vom Fachkräftemangel zu machen. Deshalb wird der Stretch im nächsten Jahr mit der Entladung von Containern in zehn Otto Group Fulfillment-Standorten beginnen, mit dem Ziel, alle mehr als 20 Standorte bis Ende 2025 in Betrieb zu nehmen. „Wir sind mitten in einem gewaltigen Transformationsprozess und ständig auf der Suche nach neuen Lösungen, mit denen wir unser Geschäft noch effektiver gestalten und die Kund*innen noch schneller und besser zufrieden stellen können“, sagt Konzern-Vorstand Service Kay Schiebur. „Mit Boston Dynamics haben wir den idealen Partner gefunden: den größten Big Player in der Robotics-Branche. Gemeinsam werden wir das Feld der Logistik neu definieren.“
Auch Boston Dynamics verspricht sich viel von der Zusammenarbeit. „Als eines der innovativsten und zukunftsorientiertesten Unternehmen in Europa passt die Otto Group hervorragend zu unserer Technologie“, sagt Robert Playter, CEO von Boston Dynamics. „Diese Vereinbarung bedeutet eine strategische Zusammenarbeit, von der unsere beiden Unternehmen hoffentlich über Jahre hinweg profitieren werden. Wir freuen uns darauf, zu sehen, welchen Mehrwert unsere mobilen Roboter in Kombination mit der umfassenden Expertise der Otto Group in den Bereichen Logistik und Fulfillment bieten können.“
Regelmäßige Kontrollen in hochkomplexen Anlagen
Neben dem Stretch kommt noch ein zweiter Roboter von Boston Dynamics bei der Otto Group zum Einsatz, das wohl bekannteste Produkt des Technologiekonzerns: der vierbeinige „Roboterhund“ Spot®.
„Spot ist ein vierbeiniger Roboter, der so konzipiert wurde, dass er fast überall hingehen kann, wo auch ein Mensch hingehen kann“, erklärt Merry Frayne, Spot Product Managerin bei Boston Dynamics. „Der Roboter verfügt über das, was wir als ‚athletische Intelligenz‘ bezeichnen. Sie ermöglicht es Spot, dynamisch das Gleichgewicht zu halten, Hindernissen auszuweichen, Treppen zu steigen und sich in schwierigem Gelände zu bewegen.“
Bei der Otto Group wartet ein spezieller Einsatz auf die künftige Spot-Flotte: Sie werden – ausgerüstet mit thermischen Kameras und Geräusch-Detektoren –Rundgänge in den hochkomplexen Anlagen der Otto Group Fulfillment-Standorte erledigen. „Predictive Maintenance“ nennt sich dieses Vorgehen, eine vorausschauende Wartung, die mögliche Schäden erkennen soll, bevor eine Anlage ausfällt. „In vollautomatisierten Logistikgewerken ist es entscheidend, dass regelmäßig auch schwierig zu erreichende Orte kontrolliert werden – zum Beispiel auf Lecks oder veränderte Geräusche“, erklärt Raphael Adrian Maier. „Bisher musste dafür an jedem kritischen Punkt teures Überwachungsequipment installiert werden. Der Spot schafft genau hier Abhilfe, er ist mobil und bringt die Ausrüstung dorthin, wo sie benötigt wird.“
Dieses Beispiel zeigt auch, dass Menschen in Zukunft nicht etwa überflüssig sind. Im Gegenteil. Um bei der Anlagenwartung mit Spot zu bleiben: Der Roboter kann zwar in Ecken, Gänge und Röhren vordringen, die für Menschen unzugänglich sind – aber natürlich muss er dafür von einer Fachkraft gesteuert werden. „Die Roboter können nicht alleingelassen werden“, sagt Maier. „Sie übernehmen schwierige Arbeiten, müssen aber genau angeleitet werden.“ Diese Anleitung könne zum Teil auch remote passieren – in Einzelfällen sogar aus dem Homeoffice. Das wird die Attraktivität eines Jobs in der Logistik noch einmal deutlich erhöhen, da ist sich Maier sicher. Er geht deshalb davon aus, dass das Thema Robotik in Zukunft auch den HR-Sektor revolutionieren wird: „Grob gesagt, wird geistige Tätigkeit physische Arbeit ersetzen. Die Mitarbeitenden werden zu Führungskräften von Robotern.“
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