First to market?
Es herrscht eine gewisse Nervosität in der deutschen AAM-Branche. Denn die Befürchtung, man könne im internationalen Wettbewerb aufgrund einer massiven staatlichen Unterstützung der Konkurrenz in den USA und China endgültig den Anschluss verlieren, ist durch die Turbulenzen bei den potenziellen Leuchtturmunternehmen Lilium und Volocopter nicht kleiner geworden. Und die Sorge scheint nicht unbegründet, das auch hierzulande entwickelte „Advanced Air Mobility“-Technologie andernorts auf der Welt kapitalisiert wird.
Von Jan Schönberg
An der Erkenntnis, dass sich Deutschland im Bereich innovativer Luftfahrttechnologien engagieren muss, um die Bundesrepublik diesbezüglich als „Leitmarkt“ zu positionieren, mangelt es nicht. Mit dem „Aktionsplan der Bundesregierung für unbemannte Luftfahrtsysteme und innovative Luftfahrtkonzepte“ aus dem Mai 2020 sowie der jüngsten „Advanced Air Mobility“-Strategie aus dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr wurden bereits entsprechende strategische Überlegungen zu Papier gebracht. Allerdings gehört auch zur Wahrheit, dass darin noch vieles im Ungefähren und Allgemeinen bleibt, konkrete Maßnahmen und klare (Finanzierungs-)Vorschläge zu deren Realisierung sucht man weitgehend vergebens. Von einer tatsächlichen praktischen Umsetzung ganz zu schweigen. Hier fehlen Tempo und Entschlusskraft, wie man exemplarisch auch am Thema U-Space ablesen kann. Mehr als zwei Jahre, nachdem das Bundesverkehrsministerium ein ziemlich umfangreiches Konzept dafür vorgelegt hat, wartet die UAS-Industrie immer noch vergeblich auf das angekündigte U-Space-Gesetz. Oder zumindest einen Gesetzentwurf.
Einflussnahme
Richtig ist, dass wesentliche regulatorische Grundsatzentscheidungen nicht auf nationaler, sondern auf europäischer oder gar globaler Ebene getroffen werden. Die internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO hat mit entsprechenden Aktivitäten begonnen, die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA ist sogar schon ein gutes Stück weiter. Hier als Bundesregierung bestehende Möglichkeiten zu nutzen, auf künftige Regelwerke Einfluss zu nehmen, ist das eine. Etwas ganz anderes ist es aber, im Sinne einer aktiven Industriepolitik den Aufbau einer hochinnovativen Branche zu fördern.
Denn unbemannte Luftfahrzeuge und innovative Luftfahrtkonzepte sollten gleich aus mehreren Gründen für Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen von herausgehobenem Interesse sein. Ganz konkret, weil AAM-Dienstleistungen und -Produkte bereits für sich genommen für Steuereinnahmen und Arbeitsplätze sorgen können. Zum anderen fungiert die Branche als Treiber für die Digitalisierung des Luftraums und den Aufbau einer klimaneutralen Zukunft der Luftfahrt. Mit Blick auf die schwächelnde Automobilindustrie sollte man sich gut überlegen, ob man auf diesem Gebiet anderen das Feld überlassen möchte. Last but not least zeigen die aktuellen globalen Entwicklungen in eindrucksvoller Klarheit auf, dass man Abhängigkeiten von anderen Weltregionen tunlichst vermeiden sollte. Und während Europa gerade in vielen Bereichen gefordert ist, sich mit großen Anstrengungen aus eben solchen Abhängigkeiten zu befreien, besteht mit Blick auf das Thema Advanced Air Mobility derzeit die valide Möglichkeit, sich an die Spitze einer Bewegung zu setzen. Und eine Industrie zu schaffen, die zumindest auf Augenhöhe mit den Wettbewerbern aus aller Welt agieren kann.
Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, wären zusätzliche staatliche Förderinstrumenten für Startups wie ERC System eine große Hilfe
„Leitindustrie“
Daher ist die Etablierung eines (Leit-)Marktes im Sinne eines „Early Adopters“ das eine. Doch nur die passenden Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Drohnen und „Flugtaxis“ in Deutschland betrieben werden können, greift zu kurz. Noch wichtiger wäre daher, aktiv die Etablierung einer international führenden „Leitindustrie“ zu fördern. Damit nicht nur hierzulande auf Produkte „Made in Germany“ beziehungsweise „Made in Europe“ gesetzt werden kann, sondern auch ein Export in andere relevante AAM-Märkte stattfindet.
Neben politischen Willensbekundungen müssten dafür aber auch finanzielle Anstrengungen unternommen beziehungsweise ausgeweitet werden. Denn während im Bereich Forschung und Entwicklung bereits einiges an Mitteln bereitgestellt wird, klafft in der Förderlandschaft ausgerechnet in den höheren Stufen der TRL-Skala (Technology Readiness Level) eine enorme Lücke. Wenn es darum geht, aus Innovationen und Konzepten tatsächlich ein serienreifes Produkt zu machen und dieses in ausreichender Stückzahl und zu konkurrenzfähigen Preisen auf den Markt zu bringen, hängt hierzulande fast alles an privaten Investitionen. Die zusätzliche Unterstützung der öffentlichen Hand, wie sie in den USA und vor allem China vorhanden ist, fehlt jedoch. Ein Teufelskreis. Denn neben dem finanziellen Support an sich führt die staatliche Subventionierung dazu, dass auch private Investitionen eher dort platziert werden, wo das Gesamtpaket eine größere Sicherheit auf die erhoffte Rendite verspricht.
Reale Gefahr
Die Gefahr, dass einmal mehr neuartige Technologien mit großem Aufwand und finanzieller Förderung durch den Bund in Deutschland entwickelt, die Ergebnisse dann aber außerhalb der Bundesrepublik wirtschaftlich erfolgreich genutzt werden, ist durchaus real. Daher müssen Industrie, Politik, Behörden und institutionelle Investoren die aktuellen Herausforderungen gemeinsam angehen.
Mit Sorge blickt die Branche nach China, wo Wettbewerber von massiver staatlicher Unterstützung profitieren
Ganz oben auf der Prioritätenliste sollte dann die Etablierung eines attraktiven Investitionsumfelds stehen. Beginnend bei der Einrichtung von großzügig ausgestatteten Förderprogrammen zur Überwindung der Innovations- und Finanzierungslücke bei der Industrialisierung von Produkten und Dienstleistungen. Zudem sollten auch bestehende Instrumente dahingehend geprüft werden, inwiefern diese für AAM-Technologien und -Unternehmen überhaupt zugänglich sind oder die Richtlinien angepasst werden müssten. Denn nur wo aus Prototypen und Konzepten tatsächlich ein in Serie gefertigtes Ergebnis wird, lässt sich ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln. Hier ist aber natürlich auch die Industrie gefragt, die bereits bei der Entwicklung von Produkten einen Marktzugang und die spätere Skalierbarkeit der Herstellung (Design to Production) im Blick behalten muss.
Rahmenbedingungen
Neben der Beantwortung finanzieller Fragen müssen – trotz aller Bemühungen – aber auch noch ein paar regulatorische und bürokratische Hürden aus dem Weg geräumt werden. Insbesondere hinsichtlich der öffentlichen Verwaltung gibt es sicher noch eine ganze Reihe an Effizienzpotentialen, die ohne zusätzlichen (finanziellen) Aufwand gehoben werden und zu Erleichterungen für die Drone-Economy beitragen könnten. Zudem ist es höchste Zeit, adäquate Rahmenbedingungen für die Integration der neuen Luftraumteilnehmer in den allgemeinen Flugverkehr zu schaffen und die Implementierung der dafür erforderlichen Infrastruktur zu ermöglichen. Denn wo es beispielsweise noch keine verlässlichen (europäischen) Vorgaben und Standards für Bau und Betrieb von Vertiports gibt, können auch keine gebaut werden. Und angesichts von mehrjährigen Planungs-, Genehmigungs- und Bauprozessen tickt auch an dieser Stelle die Uhr zunehemend lauter.