Unter dem Radar
Die Regulierung des genehmigungspflichtigen Drohnenbetriebs in Europa folgt im Grunde einer Risikoabwägung. Je größer die potentielle Gefahr, desto strenger die Auflagen. Während beim Thema „Ground Risk“ vor allem Fragen der Bevölkerungsdichte und der Bebauung zu beachten sind, rücken beim „Air Risk“ die anderen Luftraumteilnehmer in den Blickpunkt. Ist nach Lage der Dinge jedoch nicht mit einer Begegnung zwischen UAS und bemannter Luftfahrt zu rechnen, spricht man von einem atypischen Luftraum.
Von Jan Schönberg
Wenn wenige Meter über dem Dach eines Wohngebäudes oder in unmittelbarer Nähe von Leitungsmasten ein Helikopter oder gar ein Flugzeug auftaucht, so lässt sich das mit Fug und Recht als außergewöhnliches Ereignis bezeichnen. Dementsprechend bezeichnet man in der SORA-Terminologie (Specific Operations Risk Assessment) den Bereich des Luftraums, in den „normale, bemannte Flugzeuge nicht einfliegen können“, als atypischen Luftraum. Gemäß der Begriffsdefinition der Joint Authorities for Rulemaking on Unmanned Systems (JARUS) gehören daher auch abgesperrte Bereiche oder Gebiete mit Flugbeschränkungen zu den atypischen Lufträumen. Genauso wie Gebiete, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass es weder horizontal noch vertikal zu einer kritischen Annäherung zwischen – insbesondere bemannten und unbemannten – Luftraumteilnehmenden kommt. Also beispielsweise in niedrigen Flughöhen über Alaska oder auch Nordschweden, wo die Dichte bemannter Flugzeuge extrem niedrig ist. Kurz gesagt: Atypisch ist ein Luftraum dann, wenn er vom regulären Luftraum durch Sperre oder Beschränkung abgetrennt ist oder in dem bemannte Flugzeuge im Normalfall nicht unterwegs sind. Doch was bedeutet das nun konkret für die Drone-Economy?
Im „PDRA G-03 – Linear inspections, agricultural works“ werden ausreichend sichere Fluggebiete oberhalb des Leitungsverlaufs definiert (Abbildung: EASA)
Keine Mitigation nötig
Neben der Bestimmung des Bodenrisikos gehört auch die Evaluation des Luftrisikos zu den obligatorischen Stufen eines SORA-Verfahrens. Und wer nun nicht ausgerechnet in Lappland unterwegs sein möchte, muss – je nach Missionsgebiet und angrenzenden Lufträumen – gegebenenfalls konkrete Maßnahmen zur Risikominderung im Betriebskonzept berücksichtigen. Erleichtert wird das Ganze, wenn man jedoch einen atypischen Luftraum nutzen kann. Wird dies von der zuständigen Behörde anerkannt, sind in puncto „Air Risk“ keine speziellen Mitigationsmaßnahmen erforderlich. Was insbesondere hinsichtlich BVLOS-Missionen eine deutliche Erleichterung auf dem Weg zur Betriebsgenehmigung darstellen kann.
Wo aufgrund natürlicher oder künstlicher Hindernisse nicht mit bemannten Flugverkehr zu rechnen ist, könnten die Bedingungen für einen atypischen Luftraum gegeben sein
So kann beispielsweise die Inspektion von kleineren Dachflächen ohne Weiteres im atypischen Luftraum stattfinden. Auch die Befliegung von Leitungsmasten oder ein regulärer Transportbetrieb über dem Trassenverlauf. So sieht beispielsweise das von der europäischen Flugsicherheitsagentur EASA veröffentlichte Predefined Risk Assessment „PDRA G-03 – Linear inspections, agricultural works“ explizite horizontale und vertikale Dimensionen des nutzbaren (atypischen) Luftraums in Abhängigkeit von den Abmessungen der zu überfliegenden Hindernisse vor. Wer also 10 Meter oberhalb eines 15 Meter hohen Leitungsmastes fliegen möchte, darf getrost davon ausgehen, dass dort mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit zur selben Zeit kein weiterer (bemannter) Flugverkehr stattfindet. Was hinsichtlich des „Air Risk“ eine enorme Erleichterung darstellen kann, darf jedoch nicht mit einem Freiflugschein verwechselt werden. Denn zunächst einmal muss der atypische Luftraum in der beantragten Form von der zuständigen Behörde als solcher anerkannt werden. Und ein potenzielles Bodenrisiko („Ground Risk“) wird dadurch ebenfalls nicht gemindert.